J. Krüger: Der letzte Versuch einer Hegemonialpolitik am Öresund

Cover
Titel
Der letzte Versuch einer Hegemonialpolitik am Öresund. Dänemark-Norwegen und der Große Nordische Krieg (1700–1721)


Autor(en)
Krüger, Joachim
Reihe
Nordische Geschichte (13)
Erschienen
Münster 2019: LIT Verlag
Anzahl Seiten
544 S.
Preis
€ 74,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Eisentraut, Verkehrsmuseum Dresden gGmbH, Dresden

Im frühen 18. Jahrhundert wurde über mehr als zwei Jahrzehnte der Kampf um die Vormachtstellung im Norden Europas ausgetragen. Dieser als Großer Nordischer Krieg bezeichnete militärische Konflikt stand dabei historisch betrachtet lange Zeit im Schatten des Spanischen Erbfolgekrieges. Während letzterer zwischen 1701 und 1714 ausgetragen wurde, begann der Große Nordische Krieg im Jahr 1700 und endete erst 1721.1 Bereits die zeitliche Komponente unterstreicht die Bedeutsamkeit der Vorgänge und führt zugleich zu einer Fülle an Fragen, etwa der, wer die Kontrahenten waren, woraus deren Ambitionen bestanden und wieso sich die Auseinandersetzungen über so viele Jahre erstreckten.

Eben jene Fragen stehen im Zentrum der 2019 veröffentlichten Publikation von Joachim Krüger, die im Jahr 2017 als Habilitationsschrift zur Nordischen Geschichte von der Universität Greifswald angenommen wurde. Der Verfasser hat bereits weitere zahlreiche Einzelstudien und Schriften zu den Vorgängen des Großen Nordischen Krieges publiziert, von denen insbesondere die zu den Feldschlachten (u.a. Gadebusch 1712) und den maritimen Operationen (u.a. Wittow 1712) jeweils fokussiert einen Teilbereich der Kriegshandlungen vertiefend darstellen.2 Mit seiner Habilitation schließt Krüger nun ein wissenschaftliches Forschungsdesiderat, bei dem es sich um die vollständige Abhandlung über den gesamten Großen Nordischen Krieg aus der Perspektive Dänemark-Norwegens handelt.3 Dabei wurden sowohl die politischen als auch militärischen Rahmenbedingungen in Abgrenzung und Kombination zueinander betrachtet. Ebenfalls wurden wirtschafts- und sozialgeschichtlich relevante Aspekte gezielt berücksichtigt. Die Arbeit ist chronologisch aufgebaut, so werden die jeweiligen Handlungsspielräume des dänisch-norwegischen Königs und die daraus resultierten Entscheidungen jahresweise vorgestellt und vertiefend erläutert. Möglichkeiten, aber auch reale Grenzen werden kritisch erörtert, wodurch schließlich die tatsächlichen Handlungsoptionen, zwischen denen König Friedrich IV. (1671–1730) von Dänemark-Norwegen abwägen musste, sichtbar gemacht und nachvollziehbar werden.

Bei dem Großen Nordischen Krieg handelte es sich um eine gewaltsame Auseinandersetzung um die Vorherrschaft im Ostseeraum. Die Königreiche Schweden und Dänemark-Norwegen waren bereits seit dem 16. Jahrhundert Konkurrenten im Kampf um das sogenannte Dominium maris baltici. Elementare Kriegsgründe waren handelspolitische Interessen, etwa in Form der Dominanz über den Ostseezugang, des territorialen Besitzes des Öresund samt den damit verbundenen Rechten und Privilegien. Wie bedeutsam der Öresund und dessen fiskalische Nutzung tatsächlich war, lässt sich mit einem Zitat Krügers unterstreichen: „Die Kontrolle des Öresundes und der damit verbundenen Einnahmen gehörten zu den Grundpfeilern der dänischen Monarchie“ (S. 16). Erst Ende des 17. Jahrhunderts kam es zu einem politischen Zusammenschluss von Dänemark-Norwegen, Sachsen-Polen und Russland. Gemeinsam waren die Länder bestrebt, den schwedischen Einfluss in der Ostsee jeweils zu ihren eigenen Gunsten zurückzudrängen. Die Entstehung jenes Bündnisses legt Krüger in Form einer historischen Abhandlung unter Einbeziehung der damaligen realpolitischen Möglichkeiten ausführlicher dar (Kapitel 2 und 3).

Nach einer Einführung in die Thematik und Hintergründen zur Forschungsgeschichte werden durch den Verfasser die multiplen Ursachen des Krieges detailliert dargestellt (Kapitel 2). Hierbei arbeitet Krüger präzise die Komplexität der einzelnen Kriegsgründe heraus, welche einerseits in der Umkehr früherer Abkommen (z.B. des Altona Vertrages von 1689) als auch in Kombination zu weiteren regionalen Konfliktherden begründet lagen. Von zentraler Bedeutung für den gesamten Kriegsverlauf war das Kriegsjahr 1700, welches für Dänemark-Norwegen bereits nach annähernd sechs Monaten mit einer Niederlage endete (Kapitel 4). Diese Niederlage wiederum versetzte den dänisch-norwegischen Monarchen erst in die Lage, Heer und Flotte bis zum erneuten Kriegseintritt im Jahr 1709 zu reformieren, wobei der Fokus zunächst auf eine Verbesserung der finanziellen Situation der Königreiche gesetzt wurde. Krüger skizziert die zentralen Reformen ausführlicher, stellt in seinem abschließenden Fazit jedoch auch fest, dass deren Ergebnisse in den Augen der europäischen Großmächte nicht ausreichend erschienen, sodass Dänemark-Norwegen weiterhin auf militärisch potente Partner angewiesen war (Kapitel 5).

Der Überblick zur Zwischenkriegszeit von 1700 bis 1709 wird durch Krüger bewusst in zwei separaten Kapiteln abgehandelt, einerseits mit einem Schwerpunkt auf die innenpolitischen Vorgänge (Kapitel 6), andererseits auf die Außenpolitik (Kapitel 7), welche durch diplomatische Bestrebungen, die Tripelallianz gegen Schweden wiederaufleben zu lassen, geprägt war. Ausgehend vom Kriegseintritt Dänemark-Norwegens im Jahr 1709 analysiert Krüger jahresweise die Vorgänge, wobei er stets auf die veränderten Rahmenbedingungen eingeht. Hierzu zählt die Schilderung der jeweiligen Ausgangslage, die Darstellung der Schlachtverläufe und die Erörterung ihrer militärischen als auch politischen Folgen. Hierbei macht Krüger deutlich, dass insbesondere in den Jahren 1711 bis 1712 die Dominanz Dänemark-Norwegens im südlichen Ostseegebiet als auch auf norddeutschem Territorium durch militärische Erfolge bedingt stark zu nahm und somit die schwedische Vormachtstellung aufbrach (Kapitel 9 bis 12). Spätestens im Jahr 1715 konnten dann auch die verbliebenen schwedischen Festungen Stralsund und Wismar durch die alliierten Truppen erobert werden (Kapitel 14), sodass der Krieg infolgedessen ab dem Jahr 1716 vorwiegend im norwegisch-schwedischen Grenzgebiet fortgesetzt wurde (Kapitel 15 und 17).

Bemerkenswert ist, dass in der Arbeit auch Diskussionen, die innerhalb des dänischen Generalstabes über die angestrebten Kriegsziele geführt wurden, als auch diplomatische Konflikte, welche im Rahmen des Vormarsches eine wichtige Rolle spielten – beispielsweise der Durchzug durch neutrale Gebiete – ausführlich dargestellt und erläutert werden. Insgesamt bewerkstelligt es Krüger anschaulich, die diplomatische Dimension des Krieges, das Geflecht der einzelnen Akteure und ihrer stets den aktuellen Bedingungen angepassten Beweggründe herauszuarbeiten. Dies betrifft sowohl diplomatische Verhandlungen als auch die durch unterschiedliche Interessen der Bündnispartner bedingten Verwerfungen untereinander. Krüger betrachtet die militärischen und politischen Vorgänge zudem punktuell aus internationaler Sicht und macht diese somit nachvollziehbarer. Hierbei stellt der Verfasser zu Recht die hohe Bedeutung der britischen Rolle innerhalb des gesamten Konfliktes heraus. Die britischen Interessen im Ostseeraum äußerten sich sowohl durch die Vermittlung von diplomatischen Gesprächen, der Durchführung von Verhandlungen als auch in der Entsendung von Kriegsflotten in die umkämpften Gewässer als militärisches Druckmittel, so etwa in den Jahren 1700, 1715 und 1719 (insbesondere Kapitel 4 und 18). Das abschließende Kapitel 18 zu den Friedensverhandlungen Dänemark-Norwegens belegt, dass sowohl Dänemark-Norwegen als auch Schweden zu Spielbällen der europäischen Seemächte geworden waren, unter denen vor allem Großbritannien und Frankreich ihre Interessen durchsetzen konnten. Der Titel der Arbeit „Der letzte Versuch einer Hegemonialpolitik am Öresund“ unterstreicht somit das finale Scheitern der dänisch-norwegischen Interessen, welche gleichermaßen durch eine militärische Schwäche und der daraus resultierenden mangelnden diplomatischen Durchsetzungsfähigkeit bedingt waren, wie es der Autor auch final konstatiert.

Krüger gelingt es, die komplizierten Vorgänge des Großen Nordischen Krieges gut zu veranschaulichen und zugleich die dänisch-norwegische Perspektive prägnant herauszuarbeiten. Insgesamt überzeugen die gradlinige Struktur und gute Lesbarkeit. Bravourstück der Arbeit ist jedoch die Tatsache, dass erstmals ein Gesamtwerk in Form einer deutschsprachigen Monografie entstanden ist, welches die Wege in den Krieg und die Gründe für die verschiedenen politischen und militärischen Entscheidungen des absolutistisch herrschenden Königs Friedrich IV. anschaulich erläutert und analysiert. Auf diese Weise entsteht ein stimmiges Gesamtbild, das den Leserinnen und Lesern klar vor Augen führt, wie begrenzt der reale Handlungsspielraum Dänemark-Norwegens war, welches eingebettet in die europäische Politik einen letzten Versuch unternahm, seine Macht und Einfluss auf Kosten Schwedens auszudehnen. Als eine der herausragenden Stärken der Arbeit muss zusätzlich die Recherchetätigkeit des Verfassers erwähnt werden. Diese spiegelt sich in sämtlichen Fußnoten und Anmerkungen wider und zeigt zugleich, welcher Umfang an Archivmaterial und weiteren Publikationen – auch in unterschiedlichen Sprachen – zur Erforschung der Thematik notwendig waren und einbezogen worden sind.

Anmerkungen:
1 Bereits 1720 kam es zum Friedensschluss zwischen Schweden und Dänemark-Norwegen. Im Jahr 1721 wurde der Frieden von Nystad geschlossen, womit der Krieg zwischen Schweden und Russland beendet wurde. Die Verhandlungen zwischen Schweden und Sachsen-Polen zogen sich noch bis 1729 hin und mündeten in die Deklaration von Stockholm.
2 Joachim Krüger, Die Seeschlacht vor Wittow im Jahre 1712. Ein Beitrag zur Geschichte des Großen Nordischen Krieges, in: Skyllis. Zeitschrift für Unterwasserarchäologie 12,1 (2012), S. 64–71; Joachim Krüger, Der Große Nordische Krieg, Wittow und Gadebusch. Ein Überblick, in: Reno Stutz (Hrsg.), 300 Jahre Schlacht bei Gadebusch. Internationale Tagung vom 12. bis 14. Oktober 2012 in Gadebusch, Greifswald 2014, S. 19–59.
3 Eine umfassende Gesamtdarstellung des Großen Nordischen Krieges bietet zudem der kürzlich auf Dänisch herausgegebene Doppelband von Dan H. Andersen, Store Nordiske Krig, Kopenhagen 2021.